Informationen zu "Doubles and Alternativo (2016-19) für Orgel"
Verlag: Verlag Neue Musik
Verlagsnummer: NM2790
EAN: 9990901291359
ISMN: M-2032-3478-4
Beschreibung
Teil des Zyklus von a capella Choralmotetten und 'Meditationen' für Orgel solo, geschrieben als composer in residence für the Choir Saint John's, Cambridge
Denken Sie an das Beispiel des New-Complexity-Komponisten Michael Finnissy, bei dem ich auch einen Meisterkurs besucht habe. Seine Musik ist voller Energie. Die Noten sehen so komplex aus, so detailliert. Auf den ersten Blick wirkt es unspielbar, geradezu unsingbar. Aber wenn man etwa hört, wie Finnissy seine eigenen Kompositionen spielt, zum Beispiel die English Country Tunes für Klavier, dann spürt man die Wucht der Leidenschaft. Ich bewundere diesen großen Komponisten, er ist sehr emotional in seiner Musik und das ist so wunderbar.
Der Komponist Eriks Eenvalds im Gespräch mit Burkhard Schäfer, neue musikzeitung, Juli/August 2020
Abdruck mit freundlicher Genehmigung
'Der 1946 geborene Michael Finnissy gehört zweifelsohne zu den bedeutendsten zeitgenössischen KomponistInnen Großbritanniens. Mit 'Pious Anthems and Voluntaries' legt der eigentlich eher für seine Kammermusik bekannte Engländer nun einen Zyklus mit geistlicher Chormusik vor, den er zwischen 2016 und 2019 für den renommierten Choir of St. John's College und seinen Dirigenten Andrew Nethsingha komponierte.
Die Struktur des eröffnenden 'Dum Transisset Sabbatum' für fünfstimmigen Chor a cappella mutet zunächst fast wie eine Renaissancemotette an: Nachdem der Bass den Beginn des gregorianischen Responsoriums vorstellt, kommen die Oberstimmen sukzessive hinzu und verdichten die Musik zu einem polyphonen Geflecht. Teil des Kompositionsauftrags war es offenbar, Werke zu verarbeiten, die das Repertoire des Chors in der Vergangenheit geprägt haben. Daher finden sich hier nicht zufällig ausdrückliche Parallelen zur gleichnamigen Motette des Alten Meisters John Taverner (um 1490 1545), dessen Stilistik Finnissy hier eindrucksvoll parodiert. Im weiteren Verlauf des Werks dominieren aber streng rhythmisierte Melismen und eine abrupt wechselnde, ausschweifende Dynamik Anforderungen, die auch im darauffolgenden, von Thomas Tallis (1505 1585) inspirierten «Videte Miraculum» stets an alle Ausführenden gestellt werden.
Das Zentrum des Zyklus bildet die Kantate 'Herr Christ, der einge Gottessohn', die der Fassung Bachs (BWV 96) nachempfunden, aber mit einer kleineren Besetzung kammermusikalisch gehalten ist. Während die Instrumental- und Soloparts sowohl rhythmisch als auch melodisch enorme Virtuosität fordern, ist die Partie des Chores vergleichsweise überschaubar und schlicht gestaltet. Im ersten Satz beschränkt sie sich gar auf den Cantus firmus des titelgebenden Chorals. Auffällig ist, dass Finnissy in seiner Kantate ganz im Gegensatz zu den A-cappella-Werken fast keine Dynamikangaben macht, wohingegen die Tempi sehr genau beschrieben sind. Ganz der Tradition folgend wechseln sich hier recht freie Rezitative mit ausdrucksvollen Arien ab in letzteren werden Melodien teils wörtlich vom barocken Vorbild zitiert. Auch der Schlusschoral wirkt zunächst schlicht und traditionell, bis er schließlich sphärisch verschwimmt.
Im abschließenden doppelchörigen 'Plebs Angelica' vertont Finnissy den mittelalterlichen Originaltext im ersten und parallel dazu seine eigene englische Übersetzung im zweiten Chor. Ähnlich wie die Responsorien kommt dieses Werk dynamisch ausladend und äußert spannungsvoll daher, was SängerInnen technisch einiges abverlangen dürfte. Die 'Pious Anthems and Voluntaries' sind daher sicher nicht für jeden Chor geeignet. Ambitionierte Kammerchöre, die qualitativ hochwertige zeitgenössische Musik abseits vom Standardrepertoire suchen, finden hier jedoch ein Meisterwerk, das sich vor seinen stilistischen Vorbildern absolut nicht verstecken muss.'