Informationen zu "Barberine – Prélude zum zweiten Akt für Orchester Partitur"
Komponist/Autor: Guillaume Lekeu
Verlag: B-Note Musikverlag
Verlagsnummer: BN18186
EAN: 9990900549819
ISMN: M-2065-1972-7
Beschreibung
Wenn über Guillaume Lekeu gesprochen wird, dann meist mit großem Bedauern. Der belgische Spätromantiker wurde nur 24 Jahre alt, hinterließ aber trotzdem ein ansehnliches Oeuvre, das vielen zu größten Hoffnungen Anlass gab – die Lekeu naturgemäß nicht mehr erfüllen konnte. Geboren wurde er 1870 in Heusy, heute einem Stadtteil der östlich von Lüttich liegenden Stadt Verviers. Sein Leben endete im Januar 1894 in Paris nach einer Typhusinfektion, die wohl auf den Verzehr eines mit ungereinigtem Wasser zubereiteten Sorbets mit Freunden zurückging. Dass beim Trauermarsch zum Friedhof mehrere tausend Menschen dem Sarg folgten, zeigt, welchen Ruf Guillaume Lekeu trotz seiner kurzen Komponistenlaufbahn genoss – und das nicht nur in seiner belgischen Heimat, sondern auch im so anspruchsvollen wie snobistischen Paris. Er hätte neben Debussy der zweite Erneuerer der französischen Musiksein können, er hätte ein Epigone und Transformator César Francks werden können, er hätte die sich zu seiner Zeit entwickelnde belgische Stimme zwischen den musikalischen Großmächten Frankreich und Deutschland maßgeblich weiter entwickeln können: All das wurde Lekeu nach seinem Tod zugeschrieben. All das blieb allerdings Spekulation. In welche Richtung Lekeu sich weiterentwickelt hätte, ist schon deshalb schwer zu sagen, weil sein Jungendwerk stilistisch von so großer Vielfalt ist. Es zeugt von einem Schöpfergeist, der zwar schon früh eine eigene Sprache hat, sie aber in vielen Dialekten sprechen kann und der sich in diversen Konstellationen ausprobiert. Lekeu galt als neugierig und Neuem wie Altem zugewandt. An Altem verehrte er den Übervater Beethoven, den er „Gott“ nannte, an Neuem den damals überpräsenten Bühnenkönig Wagner. Viele Kompositionen lassen sich mit biografischen Erlebnissen Lekeus verbinden. Ein Besuch in Bayreuth 1889 elektrisierte den 19-Jährigen vollständig. „Ich fühle, dass der Meister Bayreuths mit seinem ganzen wundervollen Gewicht auf meinen Gedanken lastet“, schrieb er in einem Brief an seine Mutter. Für Wagner hatte Lekeu schon lange gebrannt. Die Konfrontation mit dem elaborierten Bühnenzauber in dem fränkischen Festspielhaus muss aber totale Euphorie ausgelöst haben. Nicht nur das: Ab jetzt war Lekeu auf der Suche nach einem dramatischen Stoff. Er wollte nach Jahren des Komponierens vor allem von Kammermusik zur großen dramatischen Form. Kurz nach seinem Bayreuth-Besuch wurde Lekeu Privatschüler von César Franck. In diesem ersten Schuljahr begegnete ihm das zweiaktige Schauspieldrama „Barberine“ von Alfred de Musset, einem der großen französischen Romantiker. In ausgesprochen schwülstigem Stil geht es im Ungarn des 15. Jahrhunderts um den verarmten Grafen Ulric, der seine Frau Barberine verlassen muss, um Geld zu verdienen. Rosenberg, ein Freund von ihm, ist sicher, dass Barberine Ulric untreu werden wird. Ulric weist dies zurück und schließt mit eine Wette ab: Wenn Rosenberg es schaffen würde, Barberine zu verführen, würde Ulric sein gesamtes Vermögen an ihn verlieren. Gelänge es nicht, bekomme Ulric Rosenbergs Hab und Gut. Das Ende ist wenig überraschend: Barberine lässt sich nicht verführen, sondern bringt Rosenberg mit einer List unter Kontrolle. Ulric hat die Wette gewonnen und seine Armut überwunden. Für Lekeu ist die Rittersage (die qualitativ meilenweit von den Operntexten Wagners entfernt ist) der perfekte Stoff. Bevor es ein Libretto gibt, beginnt er mit dem Komponieren erster Skizzen, und zwar für das für ihn offenbar zentrale Stück: dem Prélude zum zweiten Akt. Ihm geht es hier um den Kern der Liebe: um „ … die Sanftheit der Barberine, ihre ehrliche Güte, ihre Liebe und ihre Ergebenheit ihrem Gatten gegenüber“, wie er in einem Brief festhält. Die Skizzen zum Prélude zeigt er seinem Lehrer César Franck. Dieser soll von dem Stück durchaus angetan gewesen sein, doch er riet Lekeu davon ab, schon selbst zu orchestrieren. Lekeu vollendet das Vorspiel dennoch – und es sollen die einzigen 128 Takte einer ansonsten nie komponierte Oper bleiben. Die Schwester Alfred de Mussets verbot Lekeu, das Werk zu vertonen. Obwohl die urheberrechtlich damals kurzen Fristen längst abgelaufen waren (Musset war 32 Jahre zuvor verstorben) und er die „Barberine“ frei hätte nutzen können, verzichtet Lekeu auf die Komposition der Oper. Immerhin: Am 13. April 1890 wird das Prélude zum 2. Akt der „Barberine“ in Verviers uraufgeführt, es wird ein Achtungserfolg. Mit seiner Einschätzung, Lekeu solle mit der Komposition für Orchester noch warten, mag César Franck Recht gehabt haben. Tatsächlich ist die Instrumentierung oft holzschnittartig und nicht sehr ideenreich – vor allem, wenn man bedenkt, wie stilbildend die französische orchestrations-Schule, kurz vor Ravel und Debussy, damals eigentlich schon war. Auch Lekeus Vorbild Wagner hatte deutlich mehr Raffinesse. Aber das ist nur ein technischer Aspekt. „Barberine“ ist dennoch ein bemerkenswertes Werk. Es ist eine aus tiefster Seele empfundene Musik eines jungen Komponisten, der seine musikalische Sprache schon gefunden hatte. Alles an diesem Stück trägt Sinn und Gefühl, auch viel von einer Melancholie, die fast sämtliche Werke Lekeus in sich tragen. Auch wenn die Partitur auf den ersten Blick viel Floskelhaftes zu enthalten scheint, so sind auch diese Passagen originär, echt und hoch wirkungsvoll. Der auf die hohen Streicher konzentrierte, nackte Beginn, der ruhige Fluss der Musik zum Hymnischen, durchbrochen nur vom Moll-Gegenthema, dass den Zweifel an der Liebe ausdrücken mag, am Ende der Triumph der Gewissheit: Es ist keine Frage, dass Lekeu das Thema der versuchten, aber doch ewigen Liebe zweier Menschen in eigener Art zu einer großartigen Tondichtung zusammengefasst hat, die noch immer im Konzert bestehen kann. Und übrigens nicht nur dort. Mehrmals wurde das Barberine-Prélude als Filmmusik genutzt, zuletzt als einzige Musik zur ausgesprochen sehenswerten Filmgroteske „Ma Loute“ (in Deutschland „Die feine Gesellschaft“) von Bruno Dumont. Der Verlag freut sich, dieses bemerkenswerte Stück in einer frischen Ausgabe – und erstmals überhaupt im Notenstich – erscheinen zu lassen. Quelle waren das Partiturmanuskript Guillaume Lekeus, das allerdings zahlreiche musikgrammatische Fehler und Inkonsequenzen enthielt, und von anderer Hand kopierte Orchesterstimmen hieraus. Alle Unstimmigkeiten ließen sich durch editorische Korrekturen, Vergleiche zwischen ähnlichen Sequenzen und Abgleiche zwischen Partitur und Materialen ausräumen. Daher kann auf einen kritischen Bericht verzichtet werden.